Bosch-SPedelecs mit Nuvinci/Enviolo-Nabenschaltung haben in der Szene nicht den besten Ruf, da die Schaltung im Verdacht steht, recht viel vom Wirkungsgrad zu schlucken. Umso wichtiger, Vielfahrer zu Wort kommen zu lassen, die diese Kombination seit mittlerweile rund 20.000 Kilometern durch die Gegend fahren.
Also Vorhang auf für Steffen a.k.a. as78 und sein Riese+Müller New Charger HS (2016):
Nach fast 4 Jahren und 20tkm bei Wind und Wetter, Sommer wie Winter kann ich meine Erfahrungen teilen.
Das R&M ist mein erstes S-Pedelec und es macht mir immer noch richtig Spaß mit dem Rad täglich zur Arbeit zu fahren. Für mich war es die richtige Entscheidung. Wichtig war mir eine gute / passende Sitzposition, Wartungsarmut und ein verlässlicher Händler / Werkstatt. Anfänglich ging ich davon aus, dass auch ein 500er Akku reicht. Jetzt bin ich froh, dass das Rad eine Dual-Batterie besitzt. Vor dem E-Bike bin ich die Strecke auch mit einem „normalen“ Rad gefahren. Allerdings war das bei Wind und Wetter nicht immer so ein Traum. Dazu kommt der hohe Zeitaufwand (inkl. Dusche) und spätestens wenn die Nacht zu kurz war, sank die Motivation endgültig in den Keller. Jetzt sind Wind und Müdigkeit egal und ich genieße die Zeit draußen, lasse mich anschieben und spare mir die Dusche vor der Arbeit.
Nach meinen ersten Erfahrungen mit dem Rad, würde ich vor einer Anschaffung folgende Punkte durchgehen:
1. Wie lange ist die Strecke?
Einmal geht es um die Fahrtzeit. Wie schon erwähnt, bin ich, bei meiner Strecke von circa 20 km, nicht viel langsamer als mit dem Auto. Wenn die Strecke länger wird, kann es natürlich sein, dass der Unterschied der Fahrtzeit um einiges größer ist. Das ist abhängig davon, ob ich mit dem Auto die Autobahn nutze oder durch die Stadt muss. Oder, wenn der Weg viele Höhenmeter hat, wird die Fahrtzeit mit dem Rad länger. Für meiner Strecke brauche ich 40 Minuten, sie ist komplett flach. Ich kenne auch Radfahrer, die bereit sind einen längeren Weg in Kauf zu nehmen. Das sollte ich einfach für mich entscheiden. Der zweite Faktor ist die Größe des Akkus. Für eine lange Strecke brauche ich eine hohe Kapazität und die Möglichkeit den Akku im Geschäft zu laden. Unter 750Wh wird die Reichweite sehr knapp. Man muss dazu einberechnen, dass der Akku im Winter nicht so lange hält und auch über die Jahre die Kapazität verliert. Alternativ kann man auch einen zweiten Akku in die Tasche stecken. Von einem bekannten Hersteller gibt es eine Tasche, die ein Extrafach dafür bereithält. Ich lade das Rad täglich auf der Arbeit mittels Zeitschalt-Uhr. Diese verhindert, dass es jedesmal 100% aufgeladen wird.
2. Passt die Strecke gut zum S-Pedelec?

Mit dem S-Pedelec ist es nicht erlaubt Radwege zu nutzen. Gleichzeitig gibt es eine sehr geringe Akzeptanz einiger Autofahrer, wenn ich auf der Straße fahre. Mit 45 km/h bin ich natürlich auch eher ein Hindernis, da selbst innerorts eher 50-60 gefahren wird. Die Autofahrer nehmen mich als Radfahrer wahr und wenn parallel ein Radweg läuft, wird erwartet, dass ich dort fahre. Wenn man doch auf der Straße fährt, habe ich regelmäßig gefährliches Schneiden oder Auffahren, Anschreien und Zurechtweisungen, bis hin zu Drohungen erlebt. Es sind zwar nur wenige Autofahrer die so reagieren, aber abgesehen davon dass es gefährlich ist, nimmt es einem schnell die Freude an dem Rad. Von daher weiche ich doch regelmäßig auf Radwege aus und passe dort meine Geschwindigkeit an. Meine persönliche Strecke führt mich erst durch eine Kleinstadt, dann über einen langen Radweg der auch von mir genutzt werden darf, weiter über sehr ruhige Radabschnitte, bis nach Karlsruhe, dort sind es auch eher ruhige Stadtviertel. Natürlich nehme ich so in Kauf, dass wenn es zu einem Unfall kommt, ich eine Teilschuld habe. Damit das Fahren auch langfristig Spaß macht, würde ich vorher mir meine Strecke genau anschauen oder damit experimentieren.
3. Wind und Wetter
Ich fahre bei Wind und Wetter, auch im Winter. Nur bei Eis und Schnee ist dann Schluss, das ist mir zu gefährlich. Möchte ich nur ab und zu und bei schönem Wetter fahren oder ist es eine Alternative zum Pendeln für das ganze Jahr? Ganzjährig zu fahren ist heutzutage kein Problem. Es gibt sehr gute Kleidung, sowohl für kalte Tage, als auch für Regen. ich bevorzuge winddichte Membranen und hochwertige Funktions-Kleidung für Regentage. Im Sommer nutze ich noch eine kurze Regenhose. Wichtig ist, man fährt mit höherer Geschwindigkeit, dadurch kühlt man eher aus. Ich ziehe mich also wärmer an, als auf dem normalen Rad. Dafür schwitze ich auch kaum und stehe nicht im eigenen Saft. Ein kleiner Hinweis zur Regenhose, durch die hohe Geschwindigkeit haben sich die Beinenden immer hoch geschoben und das Wasser lief dann irgendwann in die Schuhe. Jetzt nutze ich eine Hose die an den Beinenden Haken wie eine Wanderhose hat und somit in die Schuhe eingehängt werden kann.
Zu meinem Rad:
Es ist ein Riese+Müller New Charger, Modelljahr 16/17, das ich im Herbst 2017 als Vorführer mit wenig km erworben habe. Ich bevorzuge eine leicht sportliche Sitzposition, dadurch habe ich eine gute Rückmeldung vom Vorderrad und mehr Kontrolle in den Kurven. Meine „Wohlfühl-Geschwindigkeit“ liegt bei 40-43 km/h, dabei habe ich eine Kadenz von 85-95, je nach Gegenwind. Die Durchschnittsgeschwindigkeit für die gesamte Strecke liegt bei mir zwischen 30 und 32km/h.

Meine Ausstattung:
- Nuvinci Nabenschaltung
- Riemenantrieb
- Bosch Performance Speed Motor
- XT Bremse
- Dual Batterie 2x500Wh
- SR Suntour Federgabel
Nachträglich habe ich ein gleichschliessendes „Bäckerschloss“ anbauen lassen. Meine Gepäcklösung für den Alltag ist eine Ortlieb Tasche, eine kleine Rahmentasche für Schlüssel und Handy-Ladekabel und eine Racktime kompatibele Tasche für Regensachen und Werkzeug. Der Racktime Gepäckträger bietet die Möglichkeit über einen Adapter alle möglichen Varianten an Taschen oder Kisten daran zu befestigen.

Grundsätzlich ist das Rad auch ein Fortbewegungsmittel mit Mechanik und Elektronik, die kaputt gehen kann. Auch wenn das R+M sein Geld kostet, erwarte ich nicht, das alles für immer funktioniert. Jedes Teil hat auch einen optimalen Anwendungsbereich. Wenn es außerhalb davon benutzt wird (z.B. Riemen im schlammigen Gelände) kann ich keine optimale Performance oder Haltbarkeit erwarten. Ein guter Händler vor Ort mit Erfahrungen bei E-Bikes ist für mich sehr wichtig. Ich möchte einen guten Service. „Rad & Tat“ in Karlsruhe ist da absolut top und ich kann sie sehr empfehlen. (An dieser Stelle sei mir etwas Werbung erlaubt.)
Die Schaltung ist für mich der beste Kompromiss aus Preis und Leistung, in Verbindung mit geringem Wartungs- und Pflegeaufwand. Die Nuvinci hat die bekannten Nachteile. Sie hat etwas Leistungsverlust und am steilen Berg ist der kleinste Gang zu schwer. Wer also in den Bergen unterwegs ist, für den ist eine Kettenschaltung die bessere Wahl. Für flaches und hügeliges Gelände funktioniert sie einwandfrei. Den Leistungsverlust merke ich kaum. Ich hatte einmal eine Woche lang ein Rad mit Rohloff Schaltung, für mich war kein Unterschied festzustellen. Regelmäßig lese ich, dass man mit der Nuvinci nur mit hoher Kadenz schnell fahren kann. Das stimmt so nicht. Wichtig ist, dass die Schaltung richtig eingestellt ist. Innen kann sich ein Teil verdrehen, dann hat man keinen schweren Gang mehr. Ist sie richtig eingestellt, funktioniert sie perfekt. (Eine kleine Schwachstelle sind die Züge. Es gibt an der Aufnahme der Züge an der Nabe eine scharfe Kante. Dadurch können sie reißen. Das kann man aber wegfeilen.)

Der Riemen hat bei mir jetzt 20tkm gehalten. Er wäre auch noch etwas länger gelaufen. Mit dieser Laufleistung bin ich absolut zufrieden. Eine Kettenschaltung ist für mich keine Alternative. Der Pflegeaufwand und der Verschleiß ist mir viel zu groß. Die aktuellen Kettenschaltungen sind für Mountainbikes entwickelt und der Fokus liegt auf niedrigem Gewicht und Schaltperformance. Sie sind nicht für das hohe Drehmoment der Motoren ausgelegt. Die zwei neuen Riemenscheiben und der Riemen haben zusammen 250 € gekostet. Das finde ich absolut fair.

Der Motor hat bei 20tkm einen Schaden am Freilauf gehabt. Er wurde von Bosch auf Kulanz kostenlos getauscht. Insgesamt ist er nicht so antriebsstark wie die aktuellen Motoren, er hat weniger Drehmoment. Das ordne ich mal als „Luxusproblem“ ein. Mein neuer Motor läuft auch leiser als der alte.
Das Rad ist mit zwei 180mm Scheibenbremsen ausgestattet. Die Performance der Bremse ist sehr gut. Der Verschleiß ist natürlich da. Auch hier wieder, die Komponenten sind für Mountainbikes gewichtsoptimiert. Eine dickere Scheibe wäre hier passender. Während der Laufleistung habe ich zwei Scheiben vorne und eine hinten verschlissen. Die Belege vorne halten 2-3000 km.
Die Dual Batterien liefern 1000 Wh. Damit komme ich bei voller Power ungefähr 70 km weit. Für ein S Pedelec braucht es eine große Batterie, mit 500 Wh ist man etwas unterdimensioniert. Die Batterie Kombination hat noch einen weiteren Vorteil. Die Akkus werden schrittweise abwechselnd entladen. Damit ist die Belastung nicht so hoch. Also absolut empfehlenswert.

Mit der Federgabel bin ich nicht so zufrieden. Ihr Ansprechverhalten ist nicht toll. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich mit einer Starrgabel fahre. Ich habe aber auch schon andere Berichte gelesen, da waren die Kunden zufrieden. Vielleicht habe ich ein Montags Modell. Hervorragend ist die Steifigkeit. Durch die Steckachse hat man ein stabiles vorderes Fahrwerk und ein direktes Lenkverhalten. Wichtig hier noch, die Steckachse sollte regelmäßig bewegt und gefettet werden. Sonst ist es möglicht, dass sie fest sitzt.
Das Frontlicht ist für die hohen Geschwindigkeit zu schwach, man sieht nicht weit genug. Die aktuellen Modelle sind da besser aufgestellt und haben ein Fernlicht. Ich fahre im Winter auch viel bei Dunkelheit, dafür habe ich mir eine zusätzliche Haltung an den Lenker gebaut an die ein Akku Frontlicht kommt. Dann habe ich auf meiner Waldstrecke ein Fernlicht. Die aktuellen Modelle haben auch ein Bremslicht, welches durch den Bremshebel aktiviert wird.
Die Reifen waren als Erstausstattung die Schwalbe Big Ben plus. Diese hatten eine hohe Laufleistung (hinten über 10tkm), aber waren sehr rutschig bei Nässe. Aktuell fahre ich einen Schwalbe Marathon E Plus. Dieser hat bei gleichfalls sehr hoher Laufleistung eine viel besser Nasshaftung. Ein weiterer Vorteil ist die versteifte Seitenwand. So kann ich mit weniger Luftdruck fahren, was mehr Komfort bringt, ohne das ein schwammiges Fahrgefühl entsteht, wie es beim Big Ben der Fall war. Im übrigen bringt ein breiter Reifen den erwünschten Komfort nur, wenn er nicht zu stark aufgepumpt ist. Dafür empfiehlt sich die Anschaffung einer guten Standpumpe. Einen Plattfuß habe ich an diesem Rad noch nicht erlebt.
Der Rahmen ist sehr solide gebaut. Das Rad hat damit ein sehr gutes Fahrwerk. Es liegt sehr stabil, auch in schnell gefahrenen Kurven. Es wackelt und flattert nichts. Die gefederte Sattelstütze bringt tatsächlich etwas zusätzlichem Komfort. Die außen liegenden Akkus sind praktisch in der Handhabe, da ich sie im Winter immer abnehme und im Haus lagere. Im Rad integrierte Akkus sehen zwar besser ist, brauchen aber mehr Rahmenmaterial, was den Preis und das Gewicht erhöht.

…wenn ich mir ein „Traum-Rad“ selbst entwerfen könnte, was wäre anders?
- breitere Reifen (dicker geht immer)
- Stärkeres Licht
- eine sensiblere Federgabel
- Frontgepäckträger
- teilintegrierte Akkus (sieht bei gleichem Handling besser aus)
- stärkere Akkus (ich mag große Reichweite)
- Motor mit mehr Power und leiser und der so konstruiert ist, dass er preiswert zu reparieren ist
- ABS (bei Regen ein Gewinn an Sicherheit aber bitte nicht sichtbar)
- Autohupe
- im Gepäckträger integrierte Aufnahmen für Ortlieb QL 3.1 (Kleinigkeiten machen auch Freude)
- dickere Bremsscheibe und Beläge
Ich weiß, einiges davon gibt es ja schon. Allerdings zu einem sehr hohen Anschaffungspreis.
Insgesamt bin ich sehr zufrieden mit dem Rad. Wenn man bedenkt, mit welchen Geschwindigkeiten man fährt und auch über Unebenheiten drüber „bügelt“, bin ich begeistert wie gut alles da steht und funktioniert. Würde ich es wieder kaufen? Auf jeden Fall! Das aktuell vergleichbar ausgestattete Modell kostet allerdings ca 7000€. Mein Rad war als Vorführer ein Drittel günstiger. Ob man den Preis bezahlen möchte, muss jeder selbst entscheiden.
Das S-Pedelec ist für mich eine echte Alternative zum Auto und ich möchte nicht mehr ohne. Die laufenden Kosten sind gering und der Fahrspass ist groß. Ich komme verlässlich zur Arbeit, habe keine Staus oder Zugausfälle. Wenn man sich darauf einstellt, dass Autofahrer (und andere Verkehrsteilnehmer) einen als Radfahrer wahrnehmen und vorausschauend fährt, die ein oder andere Hauptstraße meidet, bin ich bis ca 20km Weg nicht viel langsamer, aber viel entspannter als mit dem Auto unterwegs. Klar, bei 6 Grad und Regen ist’s auch nicht nur schön, aber aktuell freue ich mich jeden Morgen.
Viele Grüße und gute Fahrt!
– Steffen
Vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht! Den Ratschlag, bei der Suche nach der optimalen Pendelstrecke viel mit der Routenwahl zu experimentieren, sollten sich alle S-Pedelec-Fahrer zu Herzen nehmen. Spannend ist natürlich Deine Erfahrung mit Nuvinci-Schaltung in Verbindung mit dem Riemenantrieb. 250€ für einen neuen Antriebsstrang lesen sich im ersten Moment nicht unbedingt als Schnäppchen. Ich persönlich kann jedoch berichten, dass ich bei ähnlicher Fahrleistung mit Kettenschaltung schon vergleichbar viel Geld für Kette und Ritzel ausgegeben habe – und das bei weitaus öligeren Fingern! Viel Freude weiterhin mit Deinem zuverlässigen Pendeltier!
Hi, zu dem Absatz bzgl. Verhalten der Autofahrer: erlebe ich leider auch viel zu oft. Aber grundsätzlich spreche ich die dann (mehr oder weniger freundlich) an der nächsten Ampel darauf an. Innerorts sind Autos nicht wesentlich schneller unterwegs als ein S-Ped., fast immer bekomme ich die dann an der nächsten Kreuzung. Irgendwie müssen die das ja mal lernen. Anzeigen bringen nach meiner Erfahrung leider nichts, wurden bisher immer eingestellt.
Hallo, ich hatte leider nicht die Möglichkeit die Leute anzusprechen. Oft werde ich bedrängt und dann wird überholt und weg. Wir sind eine sehr kleine Minderheit und das macht es schwierig, dass die Leute sich daran gewöhnen. Und selbst dann herrscht doch eher eine „Kampf-Mentalität“ einiger Verkehrsteilnehmer. Ich erlebe aber auch viele nette und zuvorkommende Autofahrer, gerade auch LKW-Fahrer. Viele Grüße und eine gute Fahrt!